Gemeinsames Wort der Kirchen zur Interkulturellen Woche 2015

Gemeinsames Wort der Kirchen zur Interkulturellen Woche 2015
40 Jahre Interkulturelle Woche
Reinhard Kardinal Marx, Prof. Dr. Heinrich Bedford-Strohm, Metropolit Augoustinos

Zum vierzigsten Mal rufen wir in diesem Jahr Kirchengemeinden, Kommunen, Verbände, Organisationen, Initiativen sowie alle Interessierten und Engagierten zur Mitgestaltung der »Interkulturellen Woche« auf. Anfangs noch unter der Bezeichnung »Woche des ausländischen Mitbürgers« wird sie seit dem Jahr 1975 in gemeinsamer Trägerschaft der Deutschen Bischofskonferenz, der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Orthodoxen Bischofskonferenz in Deutschland durchgeführt.

Unser Land hat sich in diesen vierzig Jahren stark verändert. Die Erweiterung der Europäischen Union, Veränderungen der europäischen Landkarte, Globalisierung, Armut und Verelendung in manchen Teilen der Welt, alte und neue kriegerische Konflikte und Krisen spiegeln sich in den Bevölkerungsstatistiken wider: Mehr als 7 Millionen Menschen in Deutschland haben keinen deutschen Pass; weitere 9 Millionen mit deutscher Staatsbürgerschaft sind Menschen mit Migrationsgeschichte. Etwa ein Fünftel der Menschen in Deutschland hat eine andere Muttersprache als Deutsch oder ist mit einer weiteren Sprache aufgewachsen. Zugleich wandern derzeit jährlich weit mehr als eine Million Menschen nach Deutschland zu, die meisten aus Mitgliedsländern der Europäischen Union. Fast 800.000 Menschen verlassen gleichzeitig das Land. All dies bedeutet eine beständige hohe Mobilität in allen Regionen des Landes. Deutschland ist im Laufe der Jahre ein Einwanderungsland geworden.

Aber gelegentlich stößt das Eintreten für Schwache und Schutzlose auch auf Kritik. Denn Teile der Bevölkerung haben Probleme mit der zunehmenden Vielfalt unserer Gesellschaft. In den vergangenen Monaten mussten wir erkennen, dass es in Deutschland auch heute noch offenen und verdeckten Rassismus gibt. Die Zahl antisemitischer Straftaten in Deutschland und Europa steigt bedenklich. Deshalb stellen die Kirchen klar: Wir treten Rassismus und allen Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit entschieden entgegen. All dies widerspricht dem christlichen Glauben und der Nächstenliebe. Wir verkennen nicht: Es gibt – zuweilen auch schwierige – Herausforderungen im Zusammenleben von Menschen verschiedener ethnischer, kultureller, sprachlicher und religiöser Herkunft und Identität. Aber sie müssen konstruktiv und würdig ausgetragen werden.

Damals wie heute heißt das Konzept der Interkulturellen Woche: Begegnung führt zum Abbau von Ängsten und lässt aus Unbekannten geschätzte Nachbarn, Freundinnen und Freunde werden. Gespräche schaffen Verständnis. Gesellschaftliche Teilhabe erlaubt volle Gleichberechtigung und lässt Integration wachsen.

Eine unverzichtbare Basis für das offene Aufeinander-Zugehen bildet unsere auch aus christlichem Geist gewachsene Verfassung: Die Menschenrechte sind die Grundlage unserer Gesellschaft, jeder Mensch hat die gleiche Würde und das Recht, in seiner besonderen kulturellen, religiösen oder sprachlichen Herkunft und Identität an- und ernstgenommen zu werden.

Das kirchliche Engagement ist aber noch tiefer gegründet. Wir setzen uns für Flüchtlinge und Migranten ein, weil die Sorge um die Schwächsten und die Fremden zum Kern des Christseins gehört. Christus selbst hat uns aufgetragen: »Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan« (Mt 25,40).

Der Schutz von Flüchtlingen liegt zunächst in der rechtlichen und moralischen Verantwortung des Staates und der ganzen Gesellschaft. Aber die Kirchen leisten dazu erhebliche eigene Beiträge – nicht zuletzt durch das vielfältige ehrenamtliche Engagement von Kirchengemeinden bei der Aufnahme und Unterstützung von Schutzsuchenden. Viele in unserem Land sind dankbar für diesen Dienst.

Angesichts der Weltlage ist davon auszugehen, dass auch in naher Zukunft Menschen in großer Zahl Schutz und Zuflucht in Europa und in Deutschland suchen werden. Viele wählen derzeit den hoch riskanten Weg über das Mittelmeer. Für unsere Gesellschaft stellt dies eine enorme Herausforderung dar: Denn wir dürfen nicht sehenden Auges zulassen, dass sich Menschen, die in existenzieller Not vor Krieg, Gewalt und Verfolgung fliehen, dem Risiko des Ertrinkens aussetzen. Andere Zugangswege nach Europa müssen gefunden werden, damit nicht das Mittelmeer der Ort wird, an dem das christliche Abendland wirklich untergeht. Die Kirchen werben auch um Verständnis, wenn Schutzsuchende aus Syrien, dem Irak oder Afghanistan zu ihren Familienangehörigen nach Deutschland gelangen wollen, wo Europas größte Communitys beheimatet sind. Deshalb setzen wir uns auch für eine Weiterführung des Programms zur Flüchtlingsaufnahme aus Syrien und für ein neues Programm zur Flüchtlingsaufnahme aus dem Irak ein. Falsch hingegen erscheint es uns, die Verantwortung bei der Flüchtlingsaufnahme überwiegend den Staaten an den EU-Außengrenzen zuzuschreiben, wie es vor allem durch die so genannte Dublin-Verordnung geschieht. Es braucht neue Ideen, die Zuständigkeit bei der Gewährung von Schutz europaweit zu regeln, statt Menschen hin und her zu schieben.

Nach vierzig Jahren sind die Interkulturelle Woche und ihre Anliegen aktueller denn je. Eine gute Zukunft für unser Land kann weder durch Assimilationsdruck auf Zuwanderer noch durch die Entstehung von Parallelgesellschaften gelingen. Echte Integration und Partizipation erfordern Beiträge aller in Deutschland lebenden Menschen, der hier geborenen wie der zugewanderten. Zusammenleben in Vielfalt muss immer wieder neu eingeübt werden. Manches Mal stellt es uns vor schwierigere Probleme und Fragen. Die kulturelle Vielfalt gefährdet unsere Gesellschaft aber nicht in ihren Grundlagen, wenn wir auf der Werteordnung unserer Verfassung und dem wechselseitigen Interesse aneinander aufbauen können.

Wir danken allen, die sich im Rahmen der Interkulturellen Woche öffentlich für Begegnung, Teilhabe und Integration einsetzen. Sie leisten einen wichtigen Beitrag zum gelingenden Miteinander in unserer Gesellschaft. Wir wünschen ihnen Freude an der Vielfalt, lebendige und erfüllende Begegnungen und gute Erfahrungen in ihrem Engagement.